Einige gute Gründe, sich selbst vom Umwelt-Thron zu stürzen
Rund um unseren Tisch sitzen 3 aufgeweckte junge Männer, die mit wachen Augen durch die Welt gehen. Sie beobachten nicht nur ihre Welt da draußen genau, urteilen über Lehrer, Politikerinnen und You Tube-Stars. Sie schauen auch uns Eltern genauestens auf die Finger. Jeder Fehler unsererseits fällt uns gnadenlos auf den Kopf. Sportunfälle in der Midlife-Crisis werden als unnötige Übertreibung männlicher Kräfte interpretiert. Bühnenpräsenz Mitte Vierzig wird als Wunsch nach Anerkennung entlarvt. Bei schwelenden Konflikten unter den Eltern wird zügig Öl ins Feuer gegossen, damit es dann wenigstens ordentlich kracht.
Derzeit stehen wir Eltern auf dem Umweltprüfstand.
Das ist nicht gerade angenehm. Angenehmer ist es ehrlich gesagt, wenn man sich selbst prüft. Denn dann kann man da und dort ein Auge zudrücken, wenn das eigene Verhalten nicht den persönlichen Vorstellungen seiner selbst entspricht. Viel schlimmer ist es, wenn man von seinen pubertierenden Kindern unter Beobachtung steht. Viel schlimmer ist es noch, wenn zusätzlich ein 6-Jähriger, der die Grenzen der unmittelbaren Gefühlsäußerung noch fließend interpretiert und zu spontanen Unmutsäußerungen über das elterliche Verhalten neigt.
Hier sind unsere Top-Themen, die im Raum stehen: Mobilität, Nahrung und Einkaufsgewohnheiten. Was Mobilität angeht, müssen wir gestehen, verlangen wir unseren Kindern einiges ab. Während in unserem Wohnbezirk der Großteil der Kinder mit Teslas, BMWs und anderen großen Ungetümen zum Bus oder gar vor das Schultor gebracht werden, haben wir unsere Kinder verpflichtet, mit dem Rad zu fahren. Es gibt nur wenige gute Gründe, nicht mit dem Rad zu fahren: Die sind: Krankheit, zu schwere Schultaschen, Starkregenfall. Bei allen anderen Gründen schütteln wir einstimmig den Kopf. Die Buben haben es akzeptiert. Dass es ihnen gefällt, wage ich nicht zu behaupten. Nun verlassen aber auch wir Erwachsene das Haus.
Ehrlich gesagt, haben wir viel mehr Gründe, nicht mit dem Rad zu fahren.
Dafür schäme ich mich. Der oberste aller Gründe: „Es geht sich zeitlich nicht aus.“ Meine banale Ausrede macht mich fertig. Denn sie hält mir einen Spiegel vor, in den ich gar nicht sehen will. Sie sagt mir: „Wie voll und dicht ist dein Leben, dass du bei allen Aktivitäten die Minuten zählst, die Stunden sparst und ganze Tage so durchgetaktet hast, dass du dem Fahrrad keinen Platz geben kannst?“ Ich sage diesem Spiegel: „Der einzige Grund, nicht mit dem Rad zu fahren, sollte sein, dass ein familiärer Großeinkauf auf kein Fahrrad passt“. Dieses Argument wäre dann einmal in der Woche schlagend.
Also sind unsere Jungs gnadenlos: „Aha, haben wir mal wieder keine Zeit, um mit dem Rad zu fahren?“
„Sind wir mal wieder zu schön angezogen, um mit dem Rad zu fahren?“. „Ist es schon wieder zu ungemütlich, um das Auto stehen zu lassen?“ Was sollen wir darauf sagen? Nichts, wir schämen uns still. Die Buben lasten uns diese Sünden zu schwer an.
Und weil mir nichts anderes einfällt, hole ich zum Gegenschlag aus. Ich erinnere sie, dass ich nur Bio-Produkte einkaufe. Ich halte ihnen vor, dass sie nur durch meine Weitsicht regionales Gemüse, Eier und Obst essen. Ich erkläre ihnen, dass ich 70 % meiner Kleidung gebraucht kaufe. Wir verwenden keine Alufolie, essen Joghurt aus dem Glas und waschen mit grünem Waschmittel. Mein größter Trumpf aber ist noch im Talon. Denn dieser Schlag trifft meine Männer direkt in ihre eigene Unzulänglichkeit, die auch durch keinen Missionierungsversuch meinerseits ins Wanken gekommen ist: „Ich esse kein Fleisch.“ Ich grinse triumphierend und verlasse den gemeinsamen Frühstückstisch.
Sie rufen mir nach, dass sie mir ein kleines, 20 kmh fahrendes E-Auto kaufen werden und lachen sich über ihrem Schinkenbrot krumm.
Heute Morgen schaut der Kleinste entsetzt aus dem Fenster. Wir schauen alle auch aus dem Fenster. Eine Bierflasche steht am Terrassenrand. „Das ist Weltverschmutzung! Papa warst du das?“. Mein Mann hat gestern 1 Kubikmeter Holz hinters Haus gebracht. Da ist er wohl durstig geworden.
Und schon beginnt wieder die Diskussion, wir sprechen über Müll, der liegen bleibt, über Autos, die cool sind, aber die Umwelt verschmutzen, wir nehmen uns selbst an der Nase, erzählen, dass am Freitag wieder eine Demo ist. Der 13-Jährige schaut mich verschmitzt an. „Und, fährst du mit dem Auto hin?“.