Über Trugbilder der Natur, müde Schmetterlinge und den Lauf der Zeit
Lange haben wir so getan, als wäre nichts. Als würde uns die Geschichte mit der Dunkelheit nicht betreffen. Als wäre der Herbst ein endloser Reigen aus lichtdurchfluteten Spaziergängen, Cappuccinos im Freien und offenen Jacken. Lange haben wir erfolgreich verdrängt, dass die Natur, ihren vorbestimmten Weg geht. Die Natur lässt sich nur vordergründig von den geschenkten Sonnentagen betrügen. Sie schenkt uns unpassend rote Himbeeren und Erdbeeren, die nicht der sommerlichen Gier der Schnecken zum Opfer fallen. Sie verwöhnt uns mit unpassendem Vogelgezwitscher, dass uns verzweifelt glauben lässt, dass sich die Stille und die Dunkelheit dieses Jahr anderswo ausbreiten werden. Dass sich das Vergehen und das Verblühen an einem fernen Ort abspielen werden.
Und dann hat der goldene Baum an der Straßenecke plötzlich keine Blätter mehr.
Und dann kündet der letzte Sonnen-Sonntag mit einer fremden Brise das echte Wetter an. Endlich ist es so, wie es sein soll, flüstern mir die Pflanzen zu. Wo bleibt die Wehmut in ihrem eigenen Vergehen? Gut, dass es nun feucht, kalt und düster ist, seufzen die Tiere. Wo bleibt ihr Festhalten an der Fülle?
Ich hatte es wirklich vergessen, raunt mir meine innere Stimme zu. Ich hatte tatsächlich geglaubt, Stille, Dunkelheit und Einkehr würden mich dieses Jahr nicht berühren. Doch sie tun es. Es ist eine Ohrfeige der Natur, ein Glas kaltes Wasser ins Gesicht, ein grober Weckruf. Es hat sich nichts geändert:
Die Ewigkeit ist die unendliche Veränderung.
Alles lebt, alles vergeht, alles wird. Die Sommerenergie muss ruhen, darf eintauchen in das tiefe Verständnis einer universellen Wahrheit. Und ich hier kann nur staunen und annehmen. Das was ist. Ich laufe durch den nebligen Abend, sehe, dass fast alle Blätter von den Bäumen gefallen sind. Innenschauen fällt jetzt leicht, es ist so leise. Innenschauen tut auch weh, denn es rührt sich was, es lässt sich nicht in Worte fassen. Es schwirrt in meinen Innenräumen wie ein müder Schmetterling. Ist es das, das Unaussprechliche? Dieser tiefe Respekt vor dem Werden und Vergehen. Die Sprachlosigkeit vor dem eigenen Werden und Vergehen. Der von unnützer Angst durchtränkte Wille vor dem Loslassen und Hingeben? Die braun-roten Blätter rascheln mir behutsam zu: Es ist der Lauf der Zeit.
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