Zur Info Mama – Wasserschlacht am Klassenzimmer

Strahlend kommt der größte der Brüder nach Hause. ‚Mama, heute hat das erste Mal die Frau Direktor mit mir geschimpft.‘ Er zupft ein Schreiben aus der Schultasche, auf dem uns die Schuldirektion mitteilt, dass unser Sohn nach einem bestimmten Unterrichtsgesetz – wortwörtlich in seinem Verhalten auffällig ist. Meine Miene ist wohl bestürzt, denn das große Pubertier beginnt sofort zu erzählen. In einem Satz fasst er das auffällige Verhalten zusammen. ‚Wir haben in der Pause Wasser aus dem Fenster gespritzt, leider ging gerade eine 8-Klasslerin vorbei.‘

Mütterlich froh über das leider, denn sonst entnehme ich dem Blick des jungen Mannes keine Reue, verkneife ich mir ein erleichtertes Lächeln und frage mit ernster Miene: ‚Und dann?‘  ‚Ihr T-Shirt war ein bisschen nass und sie ist petzen gegangen. Und stell dir vor, während der Vokabelwiederholung wurden wir zusammengeschimpft.‘

Und dann bringt er in einem sehr emotionalen Monolog zum Ausdruck wie sehr er sich darüber ärgert, dass sich alle darüber so aufregen, dass nur zwei von vier Jungs erwischt wurden, und dass die Vokabelüberprüfung so peinlich gestört wurde. ‚Und außerdem, Mama, das war ja wirklich eine Kleinigkeit, oder?‘

War es das Mama?

 In meinem Kopf schwirren Gedanken und Gefühle wirr durcheinander. Zum einen muss mein Lausmädchen-Ich lautstark in die Misstöne des Sohnes einstimmen. ‚Was ist schon dabei, wenn man ein bisschen nass wird,‘ flüstert es mir zu. ‚Denk doch mal, was ihr alles in der Schulzeit gemacht habt, da ist ein bisschen Wasser-Spritzen ein Bagatell-Delikt‘. Vor meinem inneren Auge ziehen unsere Klingelstreiche, das Schulschwänzen, die Schmusereien im Fahrradkeller vorüber. Ich erinnere mich daran, dass wir nicht nur einmal die Klassentüre vor der Lehrerin zugesperrt haben und Stolper-Seile aus dem Fenster gespannt haben. Ich erinnere mich aber auch daran, dass der Herr Oberstudienrat Eberle nach einer rotzfrechen Antwort mich am Ohr ziehend nach meinem Nachnamen fragte um meine Eltern zu informieren.

Mein Mutter-Ich fordert jedoch streng Vernunft ein. ‚Das kannst du nicht einfach durchgehen lassen, was soll aus dem Jungen bloß werden, wenn du alles durchgehen lässt? Heutzutage kommt gleich die Fürsorge ins Haus, er muss sich benehmen können und seine Grenzen wahrnehmen lernen. Er muss Konsequenzen seines Verhaltens spüren. Was da alles passieren hätte können! Und was denken denn die anderen über uns?

Zunächst gewinnt das vernünftige Mutter-Ich: ‚Stell dir vor, eine alte Frau wäre da unten gegangen und sie hätte sich das Bein gebrochen!‘, stammle ich beim Mittagstisch. ‚Mama, um diese Zeit gehen keine alten Frauen unter unserem Schulfenster vorbei!‚  Pflichtbewusst und detailgenau schildere ich dem jungen Rebellen also die Geschichte der alten Frau, die unter dem Klassenfenster vorbeigeht, durch die Wasserspritzer so erschrickt, dass sie stürzt und sich den Oberschenkelhals bricht. Die Frau liegt lange im Krankenhaus und kann sich fortan nicht mehr allein versorgen. Wir müssen für den Schaden aufkommen und tragen ein Leben lang Schuld mit uns. Der größte der Söhne hört aufmerksam zu, schaut mich zwinkernd an und fragt: ‚Krieg ich jetzt I-Pad-Verbot?‚ Ich versinke vor mir selbst im Boden. Wie durchschaubar und unspannend ist unsere Erziehung für den jungen Mann? Er hat uns durchschaut! Hatten wir uns selbst nicht versprochen, ohne zusammenhanglose Strafen auszukommen? Müsste eine tragfähige Konsequenz nicht so aussehen, dass der junge Mann das T-Shirt des Mädchens zum Trocknen aufhängt und sich für sein Verhalten bei einem Eis (mit dem eigenen Taschengeld bezahlt) entschuldigt? Nein, er bekommt kein I-Pad-Verbot. Stattdessen erkläre ich ihm, dass Späße nur lustig sind, wenn niemand zu Schaden kommt. Und obwohl es stimmt, komme ich mir unendlich alt dabei vor.

Mein Mann bringt sich ein: ‚Das schaut nach Arbeitsdienst aus.

So darf der große Sohn am Wochenende einige Ehrenrunden mit der Kehrmaschine in unserer 35 Meter langen Einfahrt fahren. Er macht es fröhlich und ohne Verhandeln.

Am nächsten Tag im Auto Richtung Schule sagt dieser Sohn: ‚Mama, soll ich jetzt überhaupt keinen Blödsinn mehr machen?‚ Am liebsten würde ich ihm antworten: ‚Doch mein Schatz, lass es noch ordentlich krachen, ehe der Ernst des Lebens dich packt und kein Platz mehr für Spiele ist. Pass nur auf, dass niemand zu Schaden kommt.

Diesmal sage ich nichts, zu schnell springt er aus dem Auto hinein in sein Leben. Ich lächle ihm zu Abschied zu.