Lustwandeln in Grados Gassen

Oder: Eine Ode an den Sommer

Ein Blick aufs Meer genügt um zu wissen, es ist Sommer.

Auf der Fahrt nach Grado höre ich ein Wort, das mich nicht mehr loslässt: lustwandeln. Während das Kanaltal mir hellblau zuwinkt, schwingt der Klang dieses Wortes durch meine Seele. Lustwandeln in Grados Gassen. Was für ein schönes Wort. Wann habe ich das zuletzt gemacht: Frei von Sinn, irgendwo, wo es schön ist, ziellos umhergehen. Mit Freude wohlbemerkt, mit Wonne und Geduld für die Langsamkeit. Werfe ich im Vorbeifahren nur einen kurzen Blick auf meinen Alltag, so stelle ich fest, dass er sehr oft lustwandelfrei ist. Eile, Ungeduld, Termine, Sinnhaftigkeit, Ernsthaftigkeit, Zielstrebigkeit trüben die heitere Aussicht auf die Gemächlichkeit, die das Lustwandeln mit sich bringt. Aber jetzt im Sommer, geht das ja vielleicht ein bisschen einfacher, leichter, vergnüglicher. Vor allem auf Kurzurlaub in Grado. Dort könnte man das Lustwandeln ja ein wenig üben.

Es ist voll, aber das ist uns egal.

In Grado zelebriert man den Sommer.

Denn in Grado darf der Sommer noch so sein, wie er es sich einst ausgedacht hat: Langsam, voller Wonne, mit schönen Kleidern, der Sonne entgegen. Faul, fröhlich und für unseren zeitgeistigen Geschmack des Vorwärts- und Rückwärtsdenkens fast ein wenig zu sehr im Augenblick verankert. Ein Sommer in Grado erlaubt es uns, uns sorgfältig für das Abendessen zu kleiden.

Er gestattet uns das Flanieren, Ambulieren, Lustwandeln, Umherstreunen, Bummeln, Trödeln und Gustieren.

Es ist ein Sommer, der gerne aushält, dass wir unsere Füße zweckfrei in den warmen Sand bohren. Kinder bauen tausende Sandburgen, die alten Gradeser sammeln geduldig im Morgengrauen Krebse und Krabben, die bunten, viel zu teuren Liegestühle umarmen uns Sonnendurstige. Es ist voll, und es ist uns egal, denn wir alle feiern den Sommer. Mit Leichtigkeit sehen wir darüber hinweg.

Die Dame, die den Wetterbericht ansagt, spricht den schwer auf meinen Schultern lastenden Satz aus. Der Sommer verabschiedet sich. Was für große Worte. Ein Sommer, der einfach sagt, dass er jetzt geht. Einer, der verkündet, dass es ihm reicht, und uns gar nicht fragt, ob wir denn damit einverstanden sind. Ich halte noch am Sommer fest. Er trägt so etwas Großartiges in sich. Sommer, das ist ein wunderschönes Kleid, das ich mir anziehe. Alle Strenge fällt von mir ab, alles wird weich: Sehnsucht nach dem guten Leben. Die letzten Winterkrusten fallen ab. Das große Spektakel aus Hitze, Gelassenheit, Freiheit und Überschwang möge nie zu Ende gehen.

Schön wärs.