Wenn der Herbst zuschlägt

Gedanken über Notfallpläne, Querdenkereien und das heilsame Vergessen

Wir Eltern sind mit einem hilfreichen Mechanismus ausgestattet, der uns erlaubt, unliebsame Erfahrungen mit unseren Kindern zu vergessen. So können wir heute meist auf die vielen schlaflosen Nächte mit unseren Babys lächelnd zurückblicken. Wir tragen die Supermarkt-Trotzattacken unserer Kleinkinder schamlos-milde in unseren Herzen. Und wir vergessen, wie hart die vielfältigen Übergänge vom Sommer in die kühlen Jahreszeiten sind.

Sommerlich verklärt, mit Restbräune an den Wangen, Aperol in den Adern und Meerblick am inneren Horizont, gehen wir zu Schul- und Kindergartenbeginn beherzt ans Werk. Mit dem unbeugsamen Glauben daran, dass alles gut gehen wird. Meist geht auch alles gut. Wir sehen buntes Herbstlaub, warme Wollmützen, Kinder mit roten Bäckchen und nebelverhangene Sonntagsspaziergänge. Wir basteln an unseren Karrieren, kalkulieren den Alltag und seine Abläufe ausgehend vom Bestfall.

Bestfall. Notfall? Ausnahmezustände? Naiv.

So kommt es, dass wir uns mit unseren Sommerkräften begeistert, vielleicht unvorsichtig dem Herbst zuwenden. Wir blenden die Sonnenseite des Alltags ein und vergessen naturgemäß den Schatten. Der Schatten allerdings ist dick und breit. Er schlägt auf uns Eltern aus dem Hinterhalt mit einer Wucht an Forderungen ein, stapelt Termine übereinander, öffnet unbekannte Kampffelder des Zusammenlebens und erwartet von uns weiterhin sommerliche Gelassenheit, einem Reggae gleich.

Abgesehen von Einkaufslisten der Schulen und Kindergärten, Herbstjacken und Schuhen, die erneuert werden müssen, Hosen und Pullovern, die zu klein geworden sind, Strumpfhosen, die wieder über Kinderfüße gezogen werden müssen, Elternabenden bei Pfadfindern, Turnvereinen und Klavierlehrern, Müllsäcken, die weiterhin ausgeleert werden müssen, Betten, die immer wieder frisch überzogen werden müssen, trifft uns eine weitere „vergessene“ Sache hart, mitten ins Herz. Die Viren.

Viren – Schnupfenviren, Darmviren, Halsviren, Hustenviren. Wir hatten sie über den Sommer vergessen! Aus dem Hinterhalt schlagen sie zu. Ihre Macht liegt darin, dass sie, egal, wie sehr wir uns vorgenommen haben, gut für uns zu sorgen, das Kommando übernehmen. Von einem Moment auf den anderen werfen sie uns aus der normalen, gut durchdachten Ordnung, die ja so gut läuft, hinein in ein schier unüberblickbares Chaos aus Notfallplänen, Querdenkereien und Umorganisationen. Kinder erbrechen sich über Nacht über alle Betten, wir putzen, beruhigen, trauen uns selbst nicht mehr einschlafen. Kinder fiebern hoch, erzählen uns in fremden Sprachen ferne Geschichten, uns besucht die Angst. Kinder wollen nichts mehr essen, weil der Hals so weh tut, wir fragen still, „Könnten wir nicht die Zeit anhalten? Termine und Verpflichtungen einfrieren, frei von Konsequenzen?

Wie viel Pflegeurlaub ist noch übrig? Wer bleibt beim Kind? Welches Kind kann schon allein gelassen werden? Was tun wir mit Gefühlen, die sich zum Himmel türmen, wenn ein Kind allein mit dem Fernseher zurücklassen wird und jede Stunde ein Anruf kommt? Warum ist die Oma im Urlaub? Der Mann auf Geschäftsreise? Sollen wir auf die Klinik, oder noch zuwarten? Welcher Arzt hat Recht? Wie wehren wir uns selbst gegen die Viren, die uns entgegengeschleudert werden, die beim Kuscheln schamlos zu uns hinüberkrabbeln und unsere Ordnung fressen? Wer kauft ein? Wann holen wir die verabsäumte Arbeit wieder auf?  Wann erholen wir uns? Wer hilft uns, wenn wir selber Fieber haben? Wo versteckt sich die Kreativität, die eben noch durch uns floss? Sie wird anderswo gebraucht.

Mit offenen Armen eilt uns diese Kreativität zur Hilfe. Wir improvisieren! Wir Mütter und Väter sind Meister der Improvisation. Wir jonglieren Termine, Krankheiten, Pflichten und Bedürfnisse, halten uns optimistisch über Wasser, schnappen nach Luft und tauchen dann wieder ein, in das Land des Vergessens. Wir preisen unsere Netzwerke, die uns über Schattenzeiten helfen. Wir danken der Suppenköchin, dem liebevollen Anrufer, den Leidgenossinnen, die aufrichtig sagen, was ist. Wir lesen 100 Pixibücher, trocknen tausend Tränen, decken kalte Füße zu. Weil wir wissen: Wo Schatten ist, kommt auch das Licht!

Eine Antwort auf „Wenn der Herbst zuschlägt“

  1. Wie wahr, liebe Mirijam! Die letzen drei Wochen hatte unser Großer Lungenentzündung! Fragen , wie“ wo bekommen wir den Schulstoff her?, Verliert er im Gymnasium bei so langer Abwesenheit nicht den Anschluss?
    und die Organisation von diversen nicht verschiebbaren beruflichen Terminen u das Hoffen , dass der Kleine mit 2 J. nicht auch noch diese ansteckende Lungenentzündung bekommt!
    Aber die Zeit ist vorüber gegangen u bald sind Weihnachten u Ferien ohne Krankheit bitte, denn die haben wir ja schon vorher erledigt 😉

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