Unlängst traf ich einen Fotografen. Er hat Fotos von mir gemacht. Auf der Zunge brannten mir die Worte. „Bitte mach aber schon die Falten da oben auf der Stirn weg.“ Ich habe die Worte mit einem großen Schluck Prosecco hinuntergespült. Der Nachgeschmack meiner eigenen Gedanken ließ mich einige Tage nicht los. Später erzählte mir der Fotograf, dass die meisten Frauen genau das von ihm wollten. Das Optimieren des eigenen Antlitzes.
Vor kurzem hat ein weltberühmter Fotograf junge Menschen zu eben dieser Optimierung aufgefordert. Viele sind seiner Einladung nachgegangen und haben ihr Aussehen den Hochglanzmagazinen angepasst. Einige haben sich selbst so belassen, wie sie eben sind.
Selbstoptimierung. Ein großes Wort unserer Zeit. Es muss immer alles passen. Wenn wir hinaus gehen in diese Welt, sollte uns niemand unsere Sorgen, Ängste, Schwächen und Erfahrungen ansehen. Möchten wir Eindruck vermitteln, dass wir alles im Griff haben? Dass wir trotz der Fülle an Aufgaben, die uns täglich überschwemmt, Zeit für uns haben, ins Yoga gehen und Freunde treffen. Dass wir nie müde, abgeschlagen oder verzweifelt sind? Dass die Kinder funktionieren, sie in der Freizeit Erfolgen nachjagen und wir noch um 21.00 Chinesisch lernen? Dass sich unsere Zeitpläne immer ausgehen und der Takt der Optimierung uns durchs Leben schlägt?
Wer will das wirklich? Wie lange hält diese Welt diesen Trend noch durch? Wann dürfen wir wieder zu uns zurückkehren? Wann können wir aufhören, im Takt der Fremdbestimmung durchs Leben zu hetzen, uns unsensible Lügen einflüstern, die uns vormachen, wir würden eh alles schaffen? Wann hört das „mehr, besser und schöner“ endlich auf?
I am what I am, and what I am needs no excuses …
Ist es nicht sehr befreiend, wenn wir die Falten, die im Spiegel aufblitzen, als Zeichen unserer Lebendigkeit würdigen? Ist es nicht erlösend, wenn wir vor anderen zugeben, dass hin und wieder gar nichts mehr geht? Ist es nicht verlockend, sich selbst auch zuzugestehen, dass das Leben nicht immer eine Blumenwiese ist, sondern viel von uns fordert? Vielen von uns kommt es sicher bekannt vor, dass das, was wir nicht sind, um so vieles verlockender ist, als das eigene Dasein. Die Früchte auf der anderen Seite des Baums sind so wie das Essen, dass in meiner Kindheit beim Nachbarn immer besser schmeckte als zu Hause.
Ich gestehe, manchmal ging ich wirklich durchs Leben und stellte mir vor, dass bei allen anderen alles passt. Ich gab mich der Illusion hin, dass es alle besser machen als ich. Was eigentlich besser? Faltenfreier, entspannter, sportlicher, schmerzfreier, fröhlicher, erfolgreicher und eleganter. Die Falle, in die ich tappte war der Vergleich. Ich durfte lernen, dass sich mein Glück keineswegs aus dem Vergleich mit dem Leben anderer lukriert. Ich durfte lernen, dass Glück etwas höchst Individuelles ist. Ich durfte lernen, dass mein Glück aus Zutaten besteht, die nur ich spüre und kenne. Seither bin ich bescheidener, entspannter und ruhiger. Ich sehe das, was die anderen machen mit Interesse. Ich beobachte meine Reaktionen auf die „eleganten Lebensläufe“ anderer. Ich spüre, dass mein Herz erst dann freudig zu pochen beginnt, wenn meine Zutaten des Glücks auf die Bühne treten. Diese Erkenntnis hat weh getan und hat mich gleichzeitig frei gemacht. Weh getan, weil ich manche Träume als die Träume Fremder entlarvt habe. Frei gemacht, weil ich immer mehr meinen eigenen Träumen folgen kann.
Mögest du den Spuren deiner Glückszutaten jeden Tag ein wenig folgen können …