Es gibt Tage im Leben, da ist der Wurm drinnen.
Oft wissen wir nicht einmal, woher der Wurm kommt und wieso er ausgerechnet an diesem Tag sein Recht auf Chaos, Unglück, Streit oder Verwirrung einfordert.
So ein Tag ist mir unlängst passiert. Der Wurm hat sich angekündigt. Still und leise hat er ein flaues Gefühl in meinem Magen verbreitet, das ich zunächst hinter jenen Tätigkeiten zu verbergen suchte, die für gewöhnlich so etwas wie Glück versprechen.
Leider ließ sich der Wurm nicht abhalten. Er hasst es, wenn er verdrängt oder in die Ecke geschoben wird. Er bahnt sich stur seinen Weg. Auf den ersten Blick war alles harmonisch. Ein Sonntag, ein gedeckter Frühstückstisch, gesunde Kinder, eine vom Sport ausgeglichene Mutter. Und dann. Von einem Moment auf den anderen schlug der Wurm zu.
Worte wurden gewechselt, ein Polster flog im Übermut durchs Zimmer, zwei Streithähne erhoben sich zum Kampf. Der Wurm suchte sich aus dem Hinterhalt eine klitzekleine Lücke in meiner Existenz, eine Gelegenheit, die normalerweise aus einer Mischung aus Toleranz und Liebe vorüberzieht. Streit schlichtend, Harmonie suchend, Emotionen ausgleichend würde ich normalerweise den Sonntag retten. Doch diesmal nicht.
Der Wurm berührt einen wunden Punkt.
Der Wurm schlingt sich um meine eigene Bedürftigkeit. Der Wurm beißt sich fest in meiner Ungeduld. Der Wurm küsst mein Recht auf Frieden und Erholung. Er wirft mir die Erschöpfung einer ganzen Woche, nein, eines ganzen Jahrzehnts vor die Füße.
Die Streithähne hätten sich nach einigem Hin und Her sicher von selbst versöhnt. Darauf kann ich nicht warten. Der Wurm will sich jetzt und sofort Gehör verschaffen. Und zwar laut, fordernd und wütend. Etwas in mir übernimmt die Kontrolle, das ich normalerweise gut zu besänftigen weiß. Es ist die sonst zarte Stimme, die sagt: „Hey, ich bin auch ein Mensch und ich mag jetzt mal loslassen und entspannen.“ Nicht mehr ganz so zart, fordernd und böse ruft sie hinterher: „Ich will, dass ihr nach meiner Friedenspfeife tanzt.“
Der Tag vergeht, der Wurm bleibt drin. Alle Kraft dahin. Einer der Streithähne rutscht aus, einfach so, beim Spielen, bricht sich den Arm.
Dann ist der Wurm weg. Die Liebe kommt zurück. Wo war sie den ganzen Tag? Hat sie Angst vor dem Wurm?
Plötzlich ist es still in uns. Wir holen den Radiergummi und radieren den Tag aus. Wir verzeihen einander. Zurück bleibt eine Traurigkeit. Eine Traurigkeit, einen Tag in diesem wunderbaren, gesegneten Leben versaut zu haben. Alle zusammen haben wir es geschafft.
Eine Freundin schreibt mir heute den wichtigsten Satz: Sei nicht so streng mit dir.
Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Wurm-Tage auch immer wieder von der Liebe gerettet werden.