Wie Geschichten im Sommer wachsen

Oder: Welche Wege Inspiration gehen kann

Eine der herausragenden Qualitäten des Sommers ist für mich, dass er es mir leicht macht. Im Sommer gelingt so vieles: im Hier und Jetzt sein, einatmen, ausatmen, Stille hören und ankommen. Dort wo ich gerade bin: in meinem Garten, am Strand, am Berg, am Meer, in meinem Bett, auf meinem Fahrrad. Je länger ich den Sommer auskoste, umso stiller wird es in mir. Gedanken an gestern verlieren sich, Gedanken an morgen sind unnahbar, und schließlich uninteressant. Und dann, wenn es still wird in mir, dann sehe ich diesen großen, unfassbaren Platz in mir. Es ist der Platz meiner Möglichkeiten, meiner Ideen und meiner Entfaltung.

Ungefragt tauchen dann Ideen auf: Geschichten, die ich erzählen möchte.

Diese Geschichten wachsen in mir, entwickeln sich in der Tiefe meiner Inspiration zu Fäden und Verbindungen, die ein größeres Ganzes ermöglichen. Es ist, als würde ich diese kleinen Ideen in Päckchen verschnüren und tief in meinem Inneren verstauen. Ich streichle sie zart, und flüstere ihnen beruhigend zu, dass ich sie hervorholen werde, wenn es Zeit ist. Noch bin ich zu sehr mit dem Sommer, dem Hier und Jetzt und jedem einzelnen Atemzug beschäftigt, dass ich es nicht wage, diese Päckchen auszupacken.

Denn ich weiß, dass dieses Auspacken einem Einsinken, Versinken und Verbinden gleicht. Es ist ein Abtauchen in einen Seelengrund, zu dem ich nur dann Verbindung aufbauen kann, wenn das Alltägliche den imaginären Schutzwall respektiert, den ich brauche, um überhaupt in dieses Eintauchen zu gelangen. Mir ist bewusst, dass ich selbst dem Alltäglichen klare Grenzen setzen muss.

Ich weiß allerdings aus Erfahrung, dass es mir dienlicher ist, wenn ich mich auch hingebe, wenn das Leben Fahrt aufnehmen will.

Und dann kommt das Ende des Sommers. Dieses Ende wird mit Wucht und Schärfe von Schulbeginn, Kindergartenbeginn, Unterrichtsbeginn eingeläutet. Die warmen Päckchen mit den wundervollen Geschichten ruhen tief in mir. Ich flüstere täglich: „Wartet noch ein bisschen, noch bin ich nicht bereit…“. Ich verbringe meine Tage mit gestern, heute, morgen, leite eine große Familie durch den Abschied vom Sommer, kaufe Socken, Hefte und Tintenkiller. Zahle Erlagscheine ein, halte Deadlines ein, melde zu Turnkursen an, gehe zu Elternabenden, schaue beim HipHop zu, räume den Geschirrspüler aus. Kleine Gedankenfunken, strahlend und glitzernd: ein Campingbus, Meerblick, Geschirrwaschen mit Salzwasser, Wind, Sand auf meinen Füßen.

Langsam läuft hier bei uns der Alltag, das Gestern – der Sommer bleibt als Kraftquelle. Das Morgen ist der Tag, an dem ich endlich beginne, meiner Kreativität wieder Raum zu geben, es ist der Tag, an dem ich die vielen, im Sommer so leicht geschnürten Päckchen auspacken werde. Dann klappe ich den Laptop auf, und versinke in neue Geschichten, die mir der Sommer geschenkt hat.

 

 

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