Es ist Sonntag. Die familiären Pläne fielen ins blütenstaubgetränkte Wasser. Ein Sohn liegt mit Fieber im Bett. Was tun? Nichts tun? Im Netz surfen?Kindertränen trocknen, nachdenken und den Vögeln lauschen …
In letzter Zeit fühle ich mich überfordert und verfolgt. Es ist das weltweite Netz, das mich an meine Grenzen führt. Ich bin gut vernetzt, nehme bewusst dosiert am menschlichen Austausch über soziale Netzwerke teil und finde mich im World Wide Web gut zurecht. Doch in letzter Zeit fühle ich mich schlicht verfolgt, gar überrollt von den Angeboten, die über diese Netzwerke verbreitet werden.
Gut, es ist interessant, was Menschen aus ihren Leben machen, was sie der Welt da draußen anbieten, welche Wege es gibt, sich selbst und anderen zu begegnen. Würde ich jedoch jeder dieser Einladungen folgen, würde ich gar nicht mehr zu Hause sein und müsste mich wohl klonen, um an mehreren Orten gleichzeitig zu sein. Das Dilemma ist, dass viele Angebote ja tatsächlich interessant sind. Eigentlich würde ich gerne an fast allen teilnehmen oder mich zumindest dafür interessieren. In meinem Fall werden mir täglich mehrere Reisen an wunderschöne Orte angeboten, an denen man kreativ sein kann, oder seinen Körper stärken kann. Ich erhalte täglich Informationen zu perfekten Coaching und Selbsterfahrungsseminare, Workshops in Naturkosmetik, Kräuterwanderungen, Tanz und stilsicheren Outdoorklamotten. Ich könnte Yoga auf Dachterrassen, in Parks, an Seen, am Meer machen. Ich könnte zu Fincas in Spanien reisen, in die Bretagne oder nach Griechenland. Mein Profil trieb erfolgreich durch die nicht zu ergründenden Datenkanäle des Netzes und wurde, mit undurchsichtigen Algorithmen gespickt, als tausendfache Werbebotschaften wieder ausgespuckt. Ich würde einen 8. Tag in der Woche benötigen, um alle interessant klingenden Events überhaupt genau durchzulesen. Zudem könnte ich in unserer Heimatstadt täglich mehrmals zu brennend interessanten Vorträgen, kulturintensiven Veranstaltungen und packenden Outdooraktivitäten gehen. Ich bräuchte dafür noch einen 9. Tag in der Woche.
Ich gebe zu, das alles stresst mich. Die Konsequenz ist, dass ich fast an keinem dieser Events teilnehme. Ich erweitere meinen Horizont nur selten, lerne selten neue aufregende Menschen kennen, und kann leider auch gar nichts Spannendes erzählen, oder die Veranstaltung gar mit einem erhobenen Daumen gutheißen. Ich fühle mich entwicklungslos, langweilig und energielos, wenn ich die vielen Fotos von den vielen gelungenen Events sehe. Ich stehe einer virtuellen Flut an Entfaltungs-Möglichkeiten gegenüber, begleitet von außerirdischen Leitfiguren, bei denen immer alles gut geht.
Das Tragische ist, dass, je mehr Angebote ich bekommen, umso mehr drehe ich diesem Fundus den Rücken zu und versinke in mir selbst. Wenn dann noch im Weltgeschehen selbsternannt erfolgreiche Menschen ihre Siegeszüge mit erhobenen Sektgläsern posten. Wenn das Privatleben im Netzwerk eine einzige Aneinanderreihung von glücklichen Ereignissen ist. Wenn auf der anderen Seite dem Leben nur noch Dramen oder Siege abgewonnen werden, kann ich nur meinen Rückzug besiegeln. Wenn die Ehrlichkeit, die Aufrichtigkeit und die Authentizität von Menschen durch tausende Trugbilder ersetzt werden, wächst in mir das Gefühl, das einzige menschliche Wesen ohne außerirdische Erfolgsparameter zu sein.
Es besteht jedoch kein Grund zur Sorge um mich. Wie gut, dass es Freunde und Familie gibt. Wie gut, dass es die Liebe gibt. Wie gut, dass es einen Wald, Wiesen und früh am Morgen Rehe gibt. Wie gut, dass das Meer noch immer glitzert, die Wellten tosen und der Wind in ein gespanntes Segel blasen kann. Wie gut, dass der Hund ein weiches Fell hat, Meerschweinchen an meinen Füßen nagen und ich Kindertränen trocknen kann.
Wie gut, dass es tief in mir drinnen die Überzeugung gibt, dass ich allein echt sein muss, um in dieser Welt überleben zu können. Egal welche Zuschreibungen diese Echtheit verkraften muss. Glück und Zufriedenheit lassen sich, und das ist nicht neu, nicht von Konsumaktivitäten langfristig triggern. Ähnlich ist es mit Erfolg. Je mehr Erfolge eingesammelt werden, umso mehr Erfolge will man haben. Diese Erfahrung ist mir nur zu vertraut. Die Suche nach Glück und Zufriedenheit lässt sich auch nicht durch die Teilnahme an Endlosaktivitäten in einer bestimmten Community beschwichtigen. Glück, und damit meine ich nicht die kurzfristigen Highlights, die einen ebenso tief fallen lassen, Glück also, scheint tief in unserem Inneren zu wachsen. Es hat weniger mit dem Außen zu tun, als wir vermuten. Es ist ein inneres Phänomen, das sich mehr aus unkaufbaren, unkonsumierbaren Erfahrungen nährt. Es ist eine entspannte Haltung gegenüber dem, was sich im Leben offenbart. Es ist die Fähigkeit in allem ein Licht zu sehen. Es ist die Freude über das pure Dasein. Es wartet auf Entfaltung einer inneren Kraft, eines einfachen Talents, dem Leben Gutes abzugewinnen.
In welcher Welt würden wir leben, wenn einst jene geehrt werden würden, die am bloßen selbstverständlichen Zwitschern eines Vogels ihr Glück fänden? Wäre dann das glückliche Nichts mehr wert als der große Erfolg?