Der Kristall – Der Dunkelheit entkommen

Und eines Tages fiel tatsächlich ein Kristall auf den weichen Teppich, den mein Vater von einer seiner Reisen in längst verlorene Länder mitgebracht hatte. Kaum war der Kristall auf dem Boden gelandet, begann er, ohne zu zögern das Sonnenlicht einzusammeln, das still und nachdenklich seitwärts in das Zimmer fiel. Ein Zimmer, dessen Zweck ich mich heute nicht mehr entsinne.

Vielleicht war dieses Zimmer auch nur da, um von oben herab fallende Kristalle zu beherbergen. Dankbar, mit einem Teppich gekleidet zu sein. Endlich dann griff ich nach dem Kristall und er lag warm in meinen Händen. Sollte ich wirklich Ohrringe daraus machen? So lange hatte ich diesen Plan in meinem Herzen, dass ich nun nicht mehr wusste, ob der Plan noch zu mir gehörte. Vor Urzeiten ins hoffende Herz gesperrt, frei gelassen, ungültig? Würden das zwecklose Zimmer, der wunde Teppich, die lautfernen Fenster nicht lautstark ihre Einwände vortragen? Würden es meine stillen Eltern, meine schönen Schwestern und sinnlichen Brüder, die fremden Großeltern bemerken, mich überführen und mir die glanzvollen Ohrringe schließlich brutal aus meinen zarten Ohrläppchen ziehen?

Und das Licht! Würde das gesammelte Licht, das jetzt ein Teil von mir war, mir wieder brutal entrissen? Würde es verschwinden, Licht in Luft auflösend abtauchen, würde es neuerlich zerbrechen, sich in tausend neue Farben aufteilen, fern des Regenbogens? Oder würde es lustvoll auf eine neue, ferne Reise gehen? Wer konnte mir das sagen?

Ich wollte den Kristall nicht verlieren, er war die Frucht von hundert traurigen Stunden Hoffnung. Nein, ich würde mich damit nicht riskant schmücken, ihn dem Leben vorführen, Neider anlocken, diebische, spitzschnabelige Vögel, die mir so gerne die Augen aushackten. Nein, ich würde den Kristall nicht ständig neuem Licht aussetzen. Gierige Augen, fremde Blicke waren längst in mein Herz gedrungen.

Ich würde den Kristall in meine hoffende Hand legen, dort seine Wärme nehmen, mich an seinem Licht nähren, die Farben der Hoffnung kosten. Die Angst ablegen, der Tiefe ein Lachen entlocken, die Gunst des Lichts nur für mich nutzen. Ausschließlich eingesammelt, um meine Dunkelheit zu ertragen.

Kreativ sein bedeutet, dass wir Zugang zu unserer persönlichen schöpferischen Kraft finden. Diese Suche ist der Ausgangspunkt jeder kreativen Reise. Kreativität ist somit immer persönlich und individuell. Kreativität kann überall geschehen, es ist kein Prozess, der einem künstlerischen Anspruch genügen muss. Kreativität löst den Kopf aus festen Bahnen und bricht so manche feste Mauer ein. Kreatives Schreiben verbindet Hand mit Herz. Kreatives Schreiben ordnet das, was ohnehin schon in uns ist, in eine feste und gleichsam freie Form. Kreatives Schreiben löst harte Gedankenstränge auf und ersetzt diese durch lebendige Sprache und herznahe Erkenntnisse.

Mirijam Bräuer

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